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Kollektiv VolkArt
Dazu meinen andere:
Junge Welt, 28. September 2004
Ton getroffen: Geld verbrannt
Conny Gellrich
Halle, wie es singt und lacht: Am Sonntag endete das 1. ATTAC-Theaterfestival
Halle ergraute im Dauerregen. Doch es gab einen Zufluchtsort: das unauffällig an einer riesigen Straße gelegene, kleine freie Theater »Theatrale«. Drinnen wurde in gemütlicher Atmosphäre die Eröffnung des »1. ATTAC Theaterfestivals« gefeiert. Anwesend waren alternative ältere Damen, angetan mit Karottenhosen in Karottenfarbe; bewaffnet mit Arnikapastillen und Brokkolipaste gegen Schürfungen und Prellungen. Außerdem ältere Männer, die vom schütteren Haupt mittels langer Bärte ablenkten und engagierte Jugendliche, gehüllt in Batikshirts und Palästinenserschals.
Der gemeinsame Nenner war nur an zweiter Stelle das Theater, in erster Linie verband die politische Arbeit. Und so trog auch der erste Eindruck, der diese Party, auf der in Maßen Alkohol getrunken und kaum geraucht wurde, harmlos erscheinen ließ. In Wahrheit nämlich handelte es sich hier um eine Kaderschmiede der Globalisierungskritiker. In einem Crashkurs wurden die Kämpfer im Umgang mit einer äußerst effektiven Waffe geschult, dem »Gebrauchstheater«. ATTAC wollte sich nicht bis Sonntag entspannt dem Konsum der schönen Künste hingeben, sondern flott lernen, Theater zu machen; um es schnell und spontan als politisches Werkzeug bei Demos, Streiks etc. einsetzen zu können.
Hauptsächlich bestand das Festival aus zwölf Workshops, in denen Theaterpädagoginnen und -gogen wie Andrea Janssen, Christian Schmidt und Ilona Plattner neben Kabarettistinnen wie Renate Coch und Tänzerinnen wie Zula N. Hoffmann die Grundlagen von Improvisationstheater, unsichtbarem Theater, Kabarett und Rhythmus vermittelten. Fast alle Workshops orientierten sich formal an dem brasilianischen Theaterpädagogen Augusto Boal. Dieser versuchte bis in die 70er Jahre hinein mit erwähnten Methoden Lateinamerikaner über Kapitalismus und Imperialismus aufzuklären. Mit dem Theatermachen sollten sie politisch agitieren und sich selbst aus den von der Gesellschaft für sie festgelegten Rollen befreien. Später ging Boal ins Exil nach Europa und setzte seine Theaterarbeit hier verstärkt therapeutisch ein.
Theateraufführungen waren beim Festival rar. Zur Eröffnung trommelten afrikanische Asylbewerber ausgelassene Stimmung herbei; die ATTAC-Theatergruppe Kassel zeigte Proben ihrer Arbeit, die, stark an Boal angelehnt, durch Darstellungen alltäglicher Situationen große wirtschaftlich-politische Zusammenhänge vermitteln will, was hauptsächlich verbal passiert (die körperorientierten Workshops schadeten den Darstellern sicher nicht). Das politische Aktionstheater Berliner Kompagnie zeigte im neuen Theater ihr Werk »Terra Terra«, das den traurigen Weg einer Sojabohne vom asiatischen Feld über den Rindermagen hin ins europäische Tiefkühlregal verfolgt. Die Truppe von Theresa Heidegger führte in der Orangerie Heideggers Antiglobalisierungsstück »Global Player« auf.
Neben dem Harlekinumzug der Organisatorin Esther Weinz performte das Kollektiv VolkArt mit freundlicher Unterstützung der Bevölkerung im öffentlichen Raum, eine junge Berliner Gruppe, die bislang im Prater der Volksbühne, Hebbel am Ufer (HAU) und in diversen Frauenknästen ihr Unwesen trieb. Sie hat keinen festgelegten Stil, sondern versucht, sich chamäleonartig der jeweiligen Umgebung anzupassen. In Halle packte das Kollektiv den Ost-West-Konflikt in ritueller Form an, inspiriert vom Living Theatre aus guten alten Hippie-Tagen: Mit immer mehr Gefolge prozessierte es durch die Stadt und sang das Mantra: »Ich bin wie jeder andre und jeder andre, ist wie ich. Ich kriege, was ich gebe, und ich gebe, was ich krich«. Ehrfurchtsvoll führten die Schauspieler dabei in Gefäßen Blut mit sich, das sie westdeutschen Arbeitslosen abgenommen hatten, um es den Ostlern als Zeichen der Solidarität zu überlassen (in Wahrheit handelte es sich um eine Spende der Requisite des Berliner Ensemble). Das Kollektiv wollte brüderliche Blutsbande stiften und verdeutlichen, wie unwichtig Geld im Vergleich zu menschlichen Körpersäften ist. Mit dem Blut der westdeutschen Arbeitslosen und dem der Künstler (ein Tropfen pro Person) wurde der erste innerdeutsche Todesstreifen nach 1989 auf den Marktplatz in Halle gemalt. Außerdem verbrannten Darsteller und begeisterte Zuschauer Fünf-Euro-Scheine. Die ursprünglich angekündigten 1 000 Euro konnten im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten nicht verbrannt werden. Der ironische, provokante Stil der Truppe, vor allen Dingen aber die Geldverbrennung, paßte den Festivalorganisatoren um Esther Weinz nicht, weshalb im Programm nichts über Kollektiv VolkArt zu lesen und Presse nicht informiert worden war. Sie kam trotzdem.
Das Kollektiv VolkArt könnte zu einer der wenigen brauchbaren politischen Theatergruppen dieser Republik werden. Noch stehen ihrer politischen Sprengkraft ihr ständiges Bemühen, schnellstens berühmt zu werden, und die inhaltlich noch etwas wirren, unentschlossenen Konzepte entgegen. Ihre Stärke liegt vor allem in der Fähigkeit, Freude am Spielen zu vermitteln und den Ton zu treffen, der dem jeweiligen Publikum angemessen ist. Das sahen auch die Hallenser so.
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