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Kollektiv VolkArt
Dazu meinen andere:
Junge Welt, 14. Dezember 2004
Hart getroffen
Conny Gellrich
Wozu brauchen wir Stadttheater? Das Kollektiv VolkArt suchte im Berliner Frauenknast nach der Abrißbirne
Vergangenen Freitag, 18 Uhr: Der Kulturraum der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Lichtenberg ist mit kitschigen bunten Lichterketten und geschmacklosen Büropflanzen in einen Dschungel verwandelt worden. Als phantasierter Raum der Freiheit, der als Bühnenbild dient für das Theaterstück: »Wie sich Gott Freiheit über eben diese den Kopf zerbrach und dabei vom Affen gebissen wurde«, in dem es um das Leben im Riß zwischen inneren und äußeren Zwängen und der Sehnsucht nach Unabhängigkeit in »weiter Ferne« geht.
Dieses fragmetarische Stück hat das Berliner theatrale Trio Kollektiv VolkArt, das mit Vorliebe am Rande der Gesellschaft auf Abwegen spaziert, mit sieben Insassinnen der JVA entwickelt. Die kollektiven Volk-Artisten sind selbst Autodidakten, man arbeitet auf Augenhöhe. Die Mädchen improvisieren, Kollektiv VolkArt inszeniert, gespielt wird gemeinsam. Die Probendauer betrug 25 Stunden. So schnell ist kein Stadttheater.
Daß es in Lichtenberg dermaßen flott gehen mußte, lag an den üblichen Bedürfnissen von Behörden und potentiellen Geldgebern, schnelle Ergebnisse zu sehen. Perfektion wäre mit den kriminellen Damen, die in ihrem bisherigen Leben andere Sorgen als Theater hatten, sowieso nicht geglückt. Hätte auch keinen interessiert. Was hier packt, sind die unmitelbar dargestellten Geschichten und das Übermaß an Emotionen, die von der Bühne aus den Zuschauerraum fluten. Wenn zum Beispiel Nicole als süßes Äffchen, den von Tattoonadeln zerstochenen Körper im Blumenkleid, von friedlichen Dschungelnächten singt und ihre schöne Stimme dabei vor Aufregung bibbert. Oder wenn Henriette Huppmann von VolkArt mit einer Spieluhr und wenigen Worten die perfekte familiäre Samstagabendidylle zeichnet und der Zuschauer sich den Kindesmißbrauch dazu denkt. Oder wenn das Knastensemble statt Antigewalttraining hysterische Gymnastik turnt im Rhythmus von Sätzen wie: »Die Oberschenkel sind das Problem … ich will jeder sein, nur anders, schneller, halt besser«.
Obwohl zumindest Nicole und Steffi (die so rührend schüchtern über Zweierbeziehungen singt, daß im Zuschauerbereich mehrfach geschluckt wird) Stimmen haben, von denen viele Sängerinnen nur träumen können, sind die theaterspielenden Damen in Lichtenberg doch Amateurinnen mit wenig Handwerkszeug. Was aber an Ausdrucksmitteln fehlt, wird durch ein Übermaß an ausnahmsweise einmal produktiv gelenkter Energie wettgemacht. An der Stelle von geschulten Stimmen und trainierten Körpern steht hier der verzweifelte Drang zur Mitteilung. Ohne den Schutz der Professionalität präsentieren sich die Insassinnen so nackt wie nur denkbar mit ihren intimen Geschichten vor ihren coolen Mitgefangenen. Genau deswegen treffen sie ihre Zuschauer so hart.
Schon wieder stellt sich die Frage, wozu die Welt noch die museale Reproduktionsmaschinerie Stadttheater benötigt. Kafka fand, ein Buch solle sein wie die Axt für das zugefrorene Meer in uns. Die Arbeit von Kollektiv VolkArt erwies sich als veritable Abrißglocke für die berühmten Mauern in den Insassinnen und in den Zuschauern. Die Gefängnismauern stehen aber noch. Deshalb wurde wohlwollend über das Fehlen von Alkohol beim Buffet hinweggesehen.
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