Kollektiv VolkArt

Dazu meinen andere:

Junge Welt, 12. Juni 2006

Feuilleton

Zwischen Fässern

Die Gitter, die die Welt bedeuten: Zweimal Gefängnistheater in Berlin

Conny Gellrich

Seit inzwischen neun Jahren inszeniert die Theatergruppe aufBruch e.V. Theaterstücke mit Insassen der Justizvollzugsanstalt Tegel. Seit vergangenen Mittwoch zeigen sie das erste Mal Freilufttheater, und zwar die »Nibelungen« (Regie: Peter Atanassow). Gespielt wird auf dem Fußballplatz der JVA Tegel, die riesige Bühne ist eingefaßt von einem schmucken, roten Backsteinhaus, in dem inhaftierte Zuschauer in Gitterfenstern hängen, zu zweit, zu dritt, lachen, »Ficken, Ficken« rufen, pfeifen oder HipHop hören. Die Zuschauer rücken sich die Sonnenbrillen zurecht: Die Sonne brennt, anders als für die Eingesperrten, die sie nur eine Stunde am Tag zu Gesicht bekommen. Die Nibelungen, die aufBruch e.V. zeigt, angereichert mit Texten Nietzsches, Heiner Müllers und Hebbels, erzählen von Krieg und Gewalt und Gier und Trieb, von Verrat und Rache. Alles Treibstoffe, die einen gut und gerne ins Gefängnis oder aber in Spitzenpositionen in Wirtschaft udn Politik bringen können.

Einen Tag später zeigte Kollektiv VolkArt, Gefängnistheatergruppe der Frauenknäste Lichtenberg und Neukölln, die Premiere seiner vierten Inszenierung, »Der Untergang der MS Lichtenberg oder die Sehnsucht nach dem Horizont« (Regie: Henriette Huppmann und Artur Albrecht) im Hau 3.

Wurde im Tegeler Freilufttheater die Außenfassade des Knastes vorgeführt, die in erster Linie aus Gittern und Mauern besteht, zeigt Kollektiv VolkArt nun Innenansichten aus den Frauenknästen. Eine kleine, karge Zelle, durchs Guckloch gefilmt. Ein großes, schlankes Mädchen tigert darin auf und ab, zitiert Ulrike Meinhof (»Das Gefühl, Zeit und Raum sind ineinander verschachtelt?«) und geht irgendwann zum Matratzenwerfen über. Ihre Aggression hat keine Chance, sich zu entladen, zu klein der sie umgebende Raum und zu hart die Mauern selbst für ihre eisernen Fäuste.

Die Spielerinnen erzählen von der entsetzlichen Eintönigkeit ihrer Tage, zeigen zwischendurch Freistu nden, in denen aber auch nur genau festgelegte und kollektiv ausgeführte Bewegungsabläufe in der Enge des Ölfaßkäfigs möglich sind. Die Konformität der Freizeit. Und wieder wird klar, wie viel das Gefängnis mit dem Rest der Welt zu tun hat. Wie stark auch Lebensläufe in Freiheit vorgegebenen Mustern folgen, sich in diesen Fesseln aus Arbeit, Familie, Haus ereignen, mit kurzen Erholungspausen in festgelegten Rahmen zwischendurch, in denen Energie getankt werden soll, um nachher wieder gut zu funktionieren.

»Ich laß mich nicht kontrollieren, ich renne gegen Mauern«, sagt eine Darstellerin von »Der Untergang der MS Lichtenberg oder die Sehnsucht nach dem Horizont«, und nichts auf der Bühne sieht nach Kontrollverlust aus. Beide Knastaufführungen leben von Choreographien, chorisch gesprochenen Textfragmenten. Und die Körper, die Stimmen der Darsteller sträuben sich kein einziges Mal gegen das enge Inszenierungskorsett, sie funktionieren wie geschmiert, ihre Körper sin d stark und gespannt, ihre Stimmen selbstbewußt und verführerisch. Wie kann das sein, fragt sich der Zuschauer, daß sich diese Menschen im Gefängnis befinden, also offenbar nicht funktionstüchtig, nicht gemeinschaftsfähig, nicht lernwillig sind, wo sie doch hier auf der Bühne gerade das Gegenteil beweisen. Kann das ihr Fehler sein oder liegt der Fehler eher in einem System, welches mit seinen Mitgliedern nicht so umgeht, wie es die Theatergruppen aufBruch e.V. und Kollektiv VolkArt tun.

»Nibelungen«, aufBruch e.V: 16., 21., 23., 28. Juni, 18 Uhr, JVA Tegel.
Karten unter 030/24065777.

»Der Untergang der MS Lichtenberg oder die Sehnsucht nach dem Horizont«, Kollektiv VolkArt: 14. Juni JVA Pankow, 15. Juni JVA Lichtenberg, 17 Uhr.
Karten unter 0179/3200058

(c) Junge Welt 2006

www.jungewelt.de